B. Wismer u.a. (Hrsg.): Margrit Linck. Vogelfrauen und Vasenkörper

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Titel
Margrit Linck. Vogelfrauen und Vasenkörper / Bird women and vase-shaped bodies. Bird women and vase-shaped bodies


Herausgeber
Wismer, Beat; Linck, Regula
Erschienen
Berlin 2021: Hatje Cantz Verlag
Anzahl Seiten
261 S.
von
Hans Christoph von Tavel

Mit dem Band über die Keramikerin Margrit Linck (1897–1983) gewinnt die Geschichte der Berner Kunst im 20. Jahrhundert einen neuen, gewichtigen Zuwachs. Autoren sind der Kunsthistoriker Beat Wismer, ehemals Direktor des Kunsthauses Aarau und des Museums Kunstpalast in Düsseldorf, und die Schwiegertochter und Nachlassverwalterin der Künstlerin, Regula Linck von Kries. Sie gewähren sowohl eine kunstwissenschaftliche Würdigung wie auch persönliche Erinnerungen an die Künstlerin und Erfahrungen mit ihrem Schaffen. Die Verbindung von objektiver Wissenschaft und persönlicher Lebens- und Arbeitsbeschreibung ist ein Desiderat der Kunstgeschichte, das hier beispielhaft umgesetzt wurde. Da das Metier von Margrit Linck und ihr Lebensweg in der bernischen Kunst verwurzelt sind, ist das Buch über sie auch eine grundlegende Quelle über die bernische Kunst im 20. Jahrhundert. «All jenen Kunstinteressierten, die Margrit Lincks freie Arbeit nicht kennen», schreiben die Autoren im Vorwort, «will unser Buch die Möglichkeit bieten, eine herausragende Künstlerin und ihr Schaffen kennenzulernen.» Auf frühere Publikationen, die vor 40 beziehungsweise 25 Jahren erschienen und längst vergriffen sind, folgt mit der vorliegenden eine ausführliche Monografe über eine Künstlerin, deren Œuvre auch heute noch und wieder aktuell ist, reicht ihr Schaffen doch «vom späten Surrealismus über die informellen ebenso wie die formal strengeren abstrakten Bestrebungen der 1960er und 1970er Jahre bis hin zu der neuen Figuration der frühen 1980er Jahre». In den bisherigen Handbüchern zur Kunst des 20. Jahrhunderts ist Margrit Linck nicht erwähnt, geschweige denn bearbeitet. Diese Lücke wird jetzt beispielhaft behoben. In der neuen Publikation geht es ausschliesslich um die «freie Arbeit» der Künstlerin. Über hundert Werke, die sich noch immer fast ausnahmslos in ihrem Nachlass befinden, sind zum grossen Teil auf ganzseitigen farbigen Tafeln abgebildet: ein einzigartiger Augenschmaus. Dieser beginnt mit Arbeiten aus den frühen 1940er-Jahren, als sich in der Arbeit von Margrit Linck, damals schon über vierzig Jahre alt, der Übergang von der Gebrauchskeramik zur «freien Arbeit» vollzog. Bezeichnend für den damals in Bern vorherrschenden Kunstgeschmack, der sich vor allem in den Ausstellungen der Kunsthalle kundtat, sind die 1949 dort ausgestellten Gefässe und Plastiken von Margrit Linck neben Werken des Spaniers Joan Mirò und des Zürchers Oskar Dalvit. Damit stellte der Direktor, Arnold Rüdlinger, Margrit Linck ein für alle Mal in den Kontext des europäischen Surrealismus. Dem Konzept des Buches entspricht der Verzicht auf die Darstellung des Übergangs der aus Oppligen gebürtigen Töpferin von der Tradition der Heimberger Keramik in die internationale zeitgenössische Kunst. Dieser interessante Entwicklungsabschnitt bleibt einer zukünftigen Bearbeitung vorbehalten.

Beat Wismer stellt die Künstlerin sowohl in den Rahmen der internationalen wie der bernischen Kunst. Sein Beitrag steht unter dem Titel «Vogelfrauen und Vasenkörper, verbogene und andere seltsame Gestalten». Eine Schlüsselfigur in der bernischen Kunst des 20. Jahrhunderts ist der seit 1940 in Bern ansässige Tessiner Serge Brignoni. Ihm ist der Kontakt von Margrit Linck zur internationalen Kunst des Surrealismus zu verdanken. Brignoni lebte in den 1930er-Jahren in Paris, wo auch Margrit und ihr Ehemann, der Bildhauer Walter Linck, bis 1939 ein Atelier gemietet hatten. Die namhaftesten Berner Meister der surrealistischen Kunst waren neben Margrit und Walter Linck und Brignoni Otto und Beatrice Tschumi und etwas später Meret Oppenheim. In diesen Zusammenhang stellt Wismer das plötzlich erwachende internationale Interesse an Margrit Lincks «Vogelfrauen». In einer nächsten Phase der Entwicklung folgen freie Figuren wie etwa «Drôle de femme», die als «Paradebeispiel für die grosse Veränderung» dargestellt wird. Vergleichsabbildungen von zeitgenössischen Werken anderer internationaler und bernischer Künstler oder auch ein Beispiel der Kunst der Südsee belegen die neue Stellung der Keramik von Margrit Linck in der Geschichte der Kunst. Es folgt die Wende zu verfremdeten, ja zerstörten Tonkrügen, die Wismer mit dem Begriff abstrakter «Formlinge» charakterisiert, bis zu den «tierköpfigen Klageweibern der letzten Jahre» – immer in Verbindung mit den internationalen Strömungen, mit der europäischen und amerikanischen informellen Malerei, der Werkreihe «Concetto spaziale, Natura» eines Lucio Fontana oder den «Soft sculptures» von Claes Oldenburg.

Auch die Autorin des andern Teils der Publikation, Regula Linck von Kries, legt das «Hauptgewicht» auf «Margrit Lincks zweckfreies, künstlerisches Werk». Für den Leser scheinen mir allerdings die Berichte und die Fotografen aus dem Leben und Alltag der Künstlerin von mindestens ebensolchem Wert. Sie ist ihrer Schwiegertochter «noch viel näher gekommen, als um die Jahreswende 1974/75 sowohl ihr Ehemann Walter als auch ihr einziger Sohn Christian, mein erster Ehemann, innert weniger Tage verstarben». So war es auch die Schwiegertochter, welche die Firma Linck Keramik bis 2011 weiterführte. Den künstlerischen Nachlass von Margrit Linck betreute sie bis 2019. Auf diesen «Lagebericht» zur Zeit der Entstehung des Buches folgt eine ausführliche Biografie von Margrit Linck mit fotografischen Porträts und Darstellungen von ihr als Töpferin und Künstlerin bis zur «selbständigen Unternehmerin». Der Leser vernimmt Beschreibungen ihrer Arbeitsweise, der Organisation ihrer Töpferwerkstatt, ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, der Zeichnungen, die der Entstehung der Skulpturen vorangingen, der Ausstellungen nach ihrem Tode. Der Text der Schwiegertochter endet mit einem ausführlichen Zitat aus der Rede des Schriftstellers und Psychologen Walter Vogt anlässlich der Vernissage der Ausstellung von Margrit Linck in der Galerie Kornfeld 1979.

Zitierweise:
Hans Christoph von Tavel: Rezension zu: Wismer, Beat; Linck, Regula (Hrsg.): Margrit Linck. Vogelfrauen und Vasenkörper / Bird women and vase-shaped bodies. Berlin: Hatje Cantz 2021. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 2, 2022, S. 52-54.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 2, 2022, S. 52-54.

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